Ich will nicht mehr leben – immer wieder!

Zunächst muss ich sagen, dass ich niemals vorhabe aufzugeben! Ich werde immer weitermachen – egal, wie weh es tut. Aber ich möchte darüber reden.

Nicht mehr leben wollen gehört dazu

Ich habe mittlerweile akzeptiert, dass ich eine psychische Krankheit habe. Ich arbeite hart um ihre Auswirkungen zu mildern und um vielleicht sogar eines Tages „geheilt“ zu sein. Aber jetzt gerade (und sicherlich noch eine ganze Weile) beeinflusst mich das extrem.

Es gibt gute Tage, Tage an denen die Arbeit Spaß macht oder ich spüre, dass ich Menschen wichtig bin. Dass ich einen Platz habe. An anderen Tagen kann ich das nicht spüren, dann fühle ich mich einfach unverbunden mit der Welt und als ob es auch in meiner Zukunft niemals anders sein wird. Als sei es mein Schicksal für immer alleine zu sein. An diesen Tagen will ich nicht mehr leben. Es ist so simpel. Ich will das nicht mehr. Nicht mehr leben, nicht  mehr da sein und vor Allem nichts mehr spüren.
Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich alles beende. Ob es Menschen gibt, die mich vermissen. Ob ich irgendetwas hinterlassen würde. Und um ehrlich zu sein auch, ob ich damit jemanden verletzen und Menschen eins Auswischen kann, die ultimative Geste der letzten Machtausübung. Ja, auch das gehört zur Krankheit und ist der Teil, über den ungerne geredet wird. Ich spüre viele Verletzungen, die andere Menschen mir zufügen und oftmals fühle ich mich hilflos, weil ich nichts dagegen tun kann. Selbstmord ist eine sehr starke Ermächtigung. Gefühlt ist es der einzige Weg zumindest noch einmal die volle Kontrolle zu haben.

Oftmals gerate ich an Wochenenden in diese Gedanken. Wenn ich Leerlauf habe, wenn ich keine Menschen um mich herum habe, die mir zu verstehen geben, dass ich erwünscht bin. Dieses Gefühl habe ich nicht, wenn ich alleine bin. Ich benötige ständige Bestätigung von außen um einigermaßen stabil zu sein.

Diese Gedanken gehören dazu. Sie werden mich weiterhin begleiten. Und ich mache weiter in der Hoffnung, dass ich immer mehr Distanz dazu schaffen kann. Es ist meine Krankheit, die mich glauben macht, dass es keinen Sinn mehr macht. Es ist nicht real. Jeder Mensch ist wertvoll. Jeder Mensch hat es in der Hand. Es erfordert Arbeit, sehr viel. Aber es ist möglich.

Spürst du oft Unlust am Leben?

Ich weiß, dass suizidale Gedanken vielen psychisch erkrankten Menschen bekannt sind. Sie kommen eben vor. Und ich weiß ebenso, wie „normal“ das irgendwann wird.
Aber das ist es nicht. Diese Gedanken sind nicht normal. Niemand sollte am Sinn seines Lebens zweifeln. Das sind starke Signale für Depressionen und eine psychische Erkrankung, die dringend eine Behandlung erfordert.

Wenn ihr euch in diesen Gedanken wiedererkennt oder jemanden kennt, der sich in dieser Weise geäußert hat, sucht umgehend Hilfe. Bei ganz akuter Suizidalität ist eine Einweisung bzw. Zwangseinweisung eine wichtige erste Hilfe. Und auch da weiß ich, wovon ich spreche.

Wichtige Anlaufstellen bei akuter Suizidalität sind:
Die Telefonseelsorge – jeder Anruf ist kostenlos.
Der Notruf: Wählt die Nummer 112. Und ja: Suizidalität kann ein Fall für den Notruf sein.

Wenn ihr einen Therapeuten sucht, kann euch eure Krankenkasse Adressen nennen. Alle kassenärtzlich zugelassenen Therapeuten (und auch Ärzte) findet ihr hier: https://www.kvno.de/.
Oftmals kann die Therapeutensuche zeitintensiv und kräftezehrend sein. Hier ist es oft hilfreich, sich Unterstützung zu suchen. Einen Freund/ Freundin, ein Familienmitglied – irgend jemanden.

Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende!

So wichtig ist der Alltag

Ich sitze heute im Büro – wie eigentlich jeden Tag. Es ist ein Automatismus: ich stehe auf, gehe 8-10 Stunden arbeiten und danach zum Sport. Ganz normal, ganz routiniert.
So einfach wie es klingt – wie es auch eigentlich sein sollte – ist es jedoch nicht immer.

Gestern habe ich es nicht geschafft.

Gestern war ich körperlich angeschlagen und haderte auch sehr mit meinem Alltag. Ich befinde mich aktuell wieder mitten in einer depressiven Episode. Was genau heißt das? Bei mir (denn bei jedem psychisch Erkrankten äußert sich das auf eine andere Weise) fühlt sich alles sinnlos an. Der Job, der mich aktuell ohnhin frustriert, in dem ich leicht ersetzt werden könnte. Mein Privatleben. Ich habe viele Freunde und Bekannte. Ich denke, ich bin tatsächlich ein Mensch, den andere Menschen gerne mögen. Wieso erschließt sich mir nicht. Und sicherlich gibt es tiefgreifende Verbindungen zu anderen Menschen. Aktuell spüre ich diese jedoch nur, wenn ich im direkten Kontakt mit anderen Menschen bin. Bin ich alleine, so fühle ich mich auch alleine und unverbunden.
Der Grund: ich bin sicher, dass die Welt sich weiter dreht, egal ob ich noch Teil von ihr bin oder nicht.
Sicherlich ist es Teil des Lebens, dass dieses immer weiter geht. Für jeden Menschen. Anders wäre kein Mensch auf der Welt wirklich lebensfähig. Für mich ist diese Wahrheit allerdings schwer zu akzeptieren. Ich hinterlasse nichts. Ein paar Lücken werde ich bei lieben Menschen hinterlassen. Aber auch bei diesen würde mein Fehlen keine nachhaltige Veränderung bewirken.

Und so gibt es Tage mit depressiver Verstimmung, die mir das Leben und den Alltag erschweren.

Gestern kam dazu noch körperliches Unbefinden und so tappte ich in die Falle und ging nicht zur Arbeit. Ich blieb zuhause, wollte Schlaf nachholen und regenerieren. Dies klappte jedoch nicht, sodass ich den Tag untätig zuhause im Bett verbrachte und meine Stimmung mehr und mehr Raum einnahm.
Die Depression und die gefühlte Sinnlosigkeit wurden sehr dominant und ich konnte mich nicht wirklich dagegen wehren. Am Nachmittag kam dann noch eine Freundin mit ihren zwei Kindern und wir aßen Eis und gingen auf den Spielplatz. Nur so schaffte ich es gestern, mich aus der Depression zu ziehen. Danach ging ich zum Training, was mir einiges abverlangte. Als ich direkt nach der Gewichtheberklasse ging, fühlte ich mich schlecht, weil zwei meiner Bekannten noch ein wenig trainierten. Ich wusste jedoch, dass ich mich schonen und endlich etwas Schlaf und Erholung bekommen musste und ging nach Hause. Der richtige Schritt war an dieser Stelle aber auch der schwierige. Ich musste wieder alleine sein. Und in dem Falle hieß das auch, dass ich wieder mehr von mir spürte. Die Einsamkeit, die Trauer und die Sinnlosigkeit waren wieder da.
Um endlich schlafen zu können, nahm ich frühzeitig 2 Tabletten. Sie halfen ein wenig und so konnte ich fast 8 Stunden schlafen.
Heute morgen hatte ich ein Vorgespräch bei einer Therapeutin. Das ist so wochtig, dass für mich außer Frage stand, ob ich hingehen würde oder nicht. Pünktlich um 8 Uhr morgens war ich dort. Ob ich danach zur Arbeit gehen ode rmich erneut krank melden würde, wusste ich noch nicht. Die Vorstellung, mich einfach wieder ins Bett zu legen und der Müdigkeit hinzugeben war groß. Mir war aber auch bewusst, dass ein Tag alleine für meine depressive Stimmung sehr gefährlich sein kann. Dennoch tendierte ich dazu, dieses Risiko einzugehen und den „SChweinehund“ gewinnen zu lassen. Es ist einfach der bequemere Weg.
Um 8:42 war das Vorgespräch bei der Therapeutin beendet. Mehrfach war ich im Verlaufe des Gespräches den Tränen nahe gewesen. Es war anstrengend. Aber kaum trat ich aus der Tür in den Sonnenschein war mir kalr: Ich muss arbeiten gehen. Ich fuhr noch kurz heim – nahm mir ein paar wenige Minuten um ein paar Tränen herauszulassen und fuhr ins Büro.

Arbeiten. Eine gute Entscheidung

Ich will nichts beschönigen: Heute ist es sehr anstrengend im Büro zu sein und zu funktionieren. Sicherlich war ich an manchen Tagen schon deutlich produktiver. Aber ich bin hier. Ich bin heute nicht in die Falle getappt und ich schaffe es, meine Gedanken nicht in eine destruktive Richtung driften zu lassen. Die Depression hat mich noch im Griff, aber ich habe mich ihr heute nicht hingegeben.

Manchmal liegt der Fortschritt nur darin. Die Depression ist da. Aber ich bin es auch noch. Und heute habe ich den Kampf gewonnen. Morgen geht das Spiel erneut los und ich habe die feste Hoffnung, dass ich auch dieses meistern werde.

Traue nicht deinen Gedanken. Bei einer psychischen Erkrankung ist das manchmal das wichtigste Mantra.