Ich will nicht mehr leben – immer wieder!

Zunächst muss ich sagen, dass ich niemals vorhabe aufzugeben! Ich werde immer weitermachen – egal, wie weh es tut. Aber ich möchte darüber reden.

Nicht mehr leben wollen gehört dazu

Ich habe mittlerweile akzeptiert, dass ich eine psychische Krankheit habe. Ich arbeite hart um ihre Auswirkungen zu mildern und um vielleicht sogar eines Tages „geheilt“ zu sein. Aber jetzt gerade (und sicherlich noch eine ganze Weile) beeinflusst mich das extrem.

Es gibt gute Tage, Tage an denen die Arbeit Spaß macht oder ich spüre, dass ich Menschen wichtig bin. Dass ich einen Platz habe. An anderen Tagen kann ich das nicht spüren, dann fühle ich mich einfach unverbunden mit der Welt und als ob es auch in meiner Zukunft niemals anders sein wird. Als sei es mein Schicksal für immer alleine zu sein. An diesen Tagen will ich nicht mehr leben. Es ist so simpel. Ich will das nicht mehr. Nicht mehr leben, nicht  mehr da sein und vor Allem nichts mehr spüren.
Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich alles beende. Ob es Menschen gibt, die mich vermissen. Ob ich irgendetwas hinterlassen würde. Und um ehrlich zu sein auch, ob ich damit jemanden verletzen und Menschen eins Auswischen kann, die ultimative Geste der letzten Machtausübung. Ja, auch das gehört zur Krankheit und ist der Teil, über den ungerne geredet wird. Ich spüre viele Verletzungen, die andere Menschen mir zufügen und oftmals fühle ich mich hilflos, weil ich nichts dagegen tun kann. Selbstmord ist eine sehr starke Ermächtigung. Gefühlt ist es der einzige Weg zumindest noch einmal die volle Kontrolle zu haben.

Oftmals gerate ich an Wochenenden in diese Gedanken. Wenn ich Leerlauf habe, wenn ich keine Menschen um mich herum habe, die mir zu verstehen geben, dass ich erwünscht bin. Dieses Gefühl habe ich nicht, wenn ich alleine bin. Ich benötige ständige Bestätigung von außen um einigermaßen stabil zu sein.

Diese Gedanken gehören dazu. Sie werden mich weiterhin begleiten. Und ich mache weiter in der Hoffnung, dass ich immer mehr Distanz dazu schaffen kann. Es ist meine Krankheit, die mich glauben macht, dass es keinen Sinn mehr macht. Es ist nicht real. Jeder Mensch ist wertvoll. Jeder Mensch hat es in der Hand. Es erfordert Arbeit, sehr viel. Aber es ist möglich.

Spürst du oft Unlust am Leben?

Ich weiß, dass suizidale Gedanken vielen psychisch erkrankten Menschen bekannt sind. Sie kommen eben vor. Und ich weiß ebenso, wie „normal“ das irgendwann wird.
Aber das ist es nicht. Diese Gedanken sind nicht normal. Niemand sollte am Sinn seines Lebens zweifeln. Das sind starke Signale für Depressionen und eine psychische Erkrankung, die dringend eine Behandlung erfordert.

Wenn ihr euch in diesen Gedanken wiedererkennt oder jemanden kennt, der sich in dieser Weise geäußert hat, sucht umgehend Hilfe. Bei ganz akuter Suizidalität ist eine Einweisung bzw. Zwangseinweisung eine wichtige erste Hilfe. Und auch da weiß ich, wovon ich spreche.

Wichtige Anlaufstellen bei akuter Suizidalität sind:
Die Telefonseelsorge – jeder Anruf ist kostenlos.
Der Notruf: Wählt die Nummer 112. Und ja: Suizidalität kann ein Fall für den Notruf sein.

Wenn ihr einen Therapeuten sucht, kann euch eure Krankenkasse Adressen nennen. Alle kassenärtzlich zugelassenen Therapeuten (und auch Ärzte) findet ihr hier: https://www.kvno.de/.
Oftmals kann die Therapeutensuche zeitintensiv und kräftezehrend sein. Hier ist es oft hilfreich, sich Unterstützung zu suchen. Einen Freund/ Freundin, ein Familienmitglied – irgend jemanden.

Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende!

So wichtig ist der Alltag

Ich sitze heute im Büro – wie eigentlich jeden Tag. Es ist ein Automatismus: ich stehe auf, gehe 8-10 Stunden arbeiten und danach zum Sport. Ganz normal, ganz routiniert.
So einfach wie es klingt – wie es auch eigentlich sein sollte – ist es jedoch nicht immer.

Gestern habe ich es nicht geschafft.

Gestern war ich körperlich angeschlagen und haderte auch sehr mit meinem Alltag. Ich befinde mich aktuell wieder mitten in einer depressiven Episode. Was genau heißt das? Bei mir (denn bei jedem psychisch Erkrankten äußert sich das auf eine andere Weise) fühlt sich alles sinnlos an. Der Job, der mich aktuell ohnhin frustriert, in dem ich leicht ersetzt werden könnte. Mein Privatleben. Ich habe viele Freunde und Bekannte. Ich denke, ich bin tatsächlich ein Mensch, den andere Menschen gerne mögen. Wieso erschließt sich mir nicht. Und sicherlich gibt es tiefgreifende Verbindungen zu anderen Menschen. Aktuell spüre ich diese jedoch nur, wenn ich im direkten Kontakt mit anderen Menschen bin. Bin ich alleine, so fühle ich mich auch alleine und unverbunden.
Der Grund: ich bin sicher, dass die Welt sich weiter dreht, egal ob ich noch Teil von ihr bin oder nicht.
Sicherlich ist es Teil des Lebens, dass dieses immer weiter geht. Für jeden Menschen. Anders wäre kein Mensch auf der Welt wirklich lebensfähig. Für mich ist diese Wahrheit allerdings schwer zu akzeptieren. Ich hinterlasse nichts. Ein paar Lücken werde ich bei lieben Menschen hinterlassen. Aber auch bei diesen würde mein Fehlen keine nachhaltige Veränderung bewirken.

Und so gibt es Tage mit depressiver Verstimmung, die mir das Leben und den Alltag erschweren.

Gestern kam dazu noch körperliches Unbefinden und so tappte ich in die Falle und ging nicht zur Arbeit. Ich blieb zuhause, wollte Schlaf nachholen und regenerieren. Dies klappte jedoch nicht, sodass ich den Tag untätig zuhause im Bett verbrachte und meine Stimmung mehr und mehr Raum einnahm.
Die Depression und die gefühlte Sinnlosigkeit wurden sehr dominant und ich konnte mich nicht wirklich dagegen wehren. Am Nachmittag kam dann noch eine Freundin mit ihren zwei Kindern und wir aßen Eis und gingen auf den Spielplatz. Nur so schaffte ich es gestern, mich aus der Depression zu ziehen. Danach ging ich zum Training, was mir einiges abverlangte. Als ich direkt nach der Gewichtheberklasse ging, fühlte ich mich schlecht, weil zwei meiner Bekannten noch ein wenig trainierten. Ich wusste jedoch, dass ich mich schonen und endlich etwas Schlaf und Erholung bekommen musste und ging nach Hause. Der richtige Schritt war an dieser Stelle aber auch der schwierige. Ich musste wieder alleine sein. Und in dem Falle hieß das auch, dass ich wieder mehr von mir spürte. Die Einsamkeit, die Trauer und die Sinnlosigkeit waren wieder da.
Um endlich schlafen zu können, nahm ich frühzeitig 2 Tabletten. Sie halfen ein wenig und so konnte ich fast 8 Stunden schlafen.
Heute morgen hatte ich ein Vorgespräch bei einer Therapeutin. Das ist so wochtig, dass für mich außer Frage stand, ob ich hingehen würde oder nicht. Pünktlich um 8 Uhr morgens war ich dort. Ob ich danach zur Arbeit gehen ode rmich erneut krank melden würde, wusste ich noch nicht. Die Vorstellung, mich einfach wieder ins Bett zu legen und der Müdigkeit hinzugeben war groß. Mir war aber auch bewusst, dass ein Tag alleine für meine depressive Stimmung sehr gefährlich sein kann. Dennoch tendierte ich dazu, dieses Risiko einzugehen und den „SChweinehund“ gewinnen zu lassen. Es ist einfach der bequemere Weg.
Um 8:42 war das Vorgespräch bei der Therapeutin beendet. Mehrfach war ich im Verlaufe des Gespräches den Tränen nahe gewesen. Es war anstrengend. Aber kaum trat ich aus der Tür in den Sonnenschein war mir kalr: Ich muss arbeiten gehen. Ich fuhr noch kurz heim – nahm mir ein paar wenige Minuten um ein paar Tränen herauszulassen und fuhr ins Büro.

Arbeiten. Eine gute Entscheidung

Ich will nichts beschönigen: Heute ist es sehr anstrengend im Büro zu sein und zu funktionieren. Sicherlich war ich an manchen Tagen schon deutlich produktiver. Aber ich bin hier. Ich bin heute nicht in die Falle getappt und ich schaffe es, meine Gedanken nicht in eine destruktive Richtung driften zu lassen. Die Depression hat mich noch im Griff, aber ich habe mich ihr heute nicht hingegeben.

Manchmal liegt der Fortschritt nur darin. Die Depression ist da. Aber ich bin es auch noch. Und heute habe ich den Kampf gewonnen. Morgen geht das Spiel erneut los und ich habe die feste Hoffnung, dass ich auch dieses meistern werde.

Traue nicht deinen Gedanken. Bei einer psychischen Erkrankung ist das manchmal das wichtigste Mantra.

Traue nicht deinen Gedanken

Seit etwas über drei Wochen bin ich nicht mehr in der Klinik.
Drei Wochen, in denen ich auf mich gestellt war und auch keine Therapiestunde hatte. In diesen drei Wochen musste ich gefühlt Vieles neu lernen und was ich in der Klinik in einem sehr sicheren Netz mit dreifach doppeltem Boden gelernt habe, anwenden lernen. Das ist sehr kräftezehrend. Zeitweise klappt es ganz gut – immerhin kann ich mittlerweile deutlich besser reflektieren. Jedoch bin ich noch nicht so weit, dass meine Gefühle sich dieser Reflexion auch anpassen. Ich bin nach wie vor Opfer meiner extremen Gefühle und meiner Affekte und auch Ängste. Es kommt oft vor, dass ich nicht weiß, was ich denken oder fühlen soll. Was habe ich konstruiert, was ist angemessen?

Ich brauche oft Tage, um eine Stimmung umzulenken – auch, wenn ich es schon früher besser weiß. In den letzten Tagen brauchte ich zusätzlich meine Freunde und deren sehr ehrliches Feedback von außen um mir diese Zeit auch zu nehmen, bevor ich handle.

Meine Therapeutin sagte einmal zu mir: “Trauen Sie nicht ihren Gedanken.”

Und sie hat Recht. In meinen Gedanken gelten die Sätze “Ich bin nicht wichtig”, “es wird nie auf mich geachtet und ich werde immer zu kurz kommen” als ultimative Wahrheiten. Unterstützt werden diese Gedanken durch Erinnerungen an vergangene Situationen. Sicherlich kam ich im Leben oft zu kurz, sicherlich ist es ebenso wahrscheinlich, dass die Wahrnehmung meiner Erinnerung durch meine “Wahrheiten” geprägt und teilweise verfälscht ist. Die Angst, dass sich dies auch in der Zukunft fortführen wird fühlt sich für mich oft an wie Gewissheit.
Es ist schwer, das alles loszulassen, innezuhalten und mich zu distanzieren um mir die Situation – die reale und die in mir – anzusehen und zu differenzieren. Ich falle noch oft in die Falle. Ich glaube meinen Gedanken viel zu oft. Aber ich glaube, ich werde besser.

Es gibt in diesem Prozess vier wichtige Schritte nachdem diese starken Gefühle aufkommen, beide davon sind gleichermaßen fortgeschritten und brauchen Zeit und Energie:

  1. Erkennen, dass es sich um eine affektive Situation handelt
  2. Innehalten und emotionale Distanz gewinnen
  3. Die Situation so neutral wie möglich bewerten und andere Blickwinkel einnehmen. Wie ist es wirklich? Welcher Teil wird durch meine Gedankenmuster beeinflusst und verfälscht?
  4. Handeln. Die gewonnenen Erkenntnisse umsetzen.

Keiner dieser Schritte ist leicht. Jeder ist eine große Stufe einer steilen Treppe und bedarf oftmals Hilfe von außen. Es passiert mir noch sehr oft, dass ich dies alles erst im Nachhinein erkenne – nachdem ich bereits sehr affektiv und destruktiv gehandelt habe. Das ist ok, das passiert.
Es ist wichtig, auch das zu akzeptieren und das Ganze als Prozess zu sehen. Es ist ein langer Prozess und er muss immer wiederholt werden, bis er irgendwann fast automatisch und mit deutlich weniger Aufwand funktioniert.

Die Erkenntnis: psychische Erkrankungen sind chronisch, auch meine.

Nachdem ich gestern wieder sehr mit suizidalen Gedanken zu kämpfen hatte (siehe Und auf einmal macht das Leben keinen Sinn mehr – schon wieder!) , habe ich eine Erkenntnis gewonnen: Meine Krankheit ist chronisch.

Ich war nicht so naiv zu glauben, dass ich geheilt bin. Ich hatte nur erwartet, dass ich deutlich “weiter” bin und ein gewisses Level erreicht habe. Natürlich ist mir bewusst, dass ich immer wieder Rückschläge erleben werde, dass alte Verhaltensmuster nicht einfach weggehen und ich auch immer wieder mit depressiven Episoden kämpfen muss.

Dennoch traf mich die Erkenntnis gestern hart. Auch meine Suizidalität ist chronisch. Es war mir zuvor nicht bewusst – und sicherlich wollte ich das auch nicht wissen, aber ich weiß es nun: Es wird mir immer wieder passieren, dass ich den Sinn meines Lebens in Frage stelle.

“Es macht alles keinen Sinn” und “Ich will nicht mehr Leben”

sind Gedanken, die mich weiterhin begleiten werden. Ich kann nur hart daran arbeiten die Abstände zwischen diesen Episoden so groß wie möglich werden zu lassen.

Ich sehe den gestrigen Tag als Mahnung. Ich bin nicht sicher, ich bin nicht geheilt. Ich bin noch mittendrin, in meinem persönlichen Kampf. Und ich muss auf mich aufpassen.

Es ist nicht fair. Verdammt nochmal! Es ist verdammt unfair! Ich habe mir das nicht ausgesucht. Aber ich habe keine Wahl. Aufgeben darf keine Option sein und so gilt es Strategien zu entwickeln. Auf ein Neues – immer wieder!

Und auf einmal macht das Leben keinen Sinn mehr – schon wieder!

Vor etwa drei Wochen wurde ich aus der psychiatrischen Tagesklinik entlassen. Es war emotional und ich war entsprechend “aufgeweicht” und sensibel. Und es war gut. Ich fühlte mich stark, ich hatte Großes hinter mir.
Es war ein holpriger Start in den Alltag und ich musste sehr auf mich achten – aber es funktionierte und ich fühlte mich sicher mit mir alleine.

Dann gab es letzte Woche im Job eine Situation, die mich überforderte und mich meine Zukunft in der Agentur hinterfragen lies.  Meine Freunde – und ein sehr lieber Kollege – rieten mir mich zu beruhigen und abzuwarten, bevor ich handeln würde. Dies tat ich auch, bzw. versuchte es. Und damit fing mein Kampf an.

Meine Grundstimmung war nicht ideal, aber auch hier hatte ich das Gefühl, dass ich es im Griff hatte. Gestern morgen jedoch wachte ich auf und fühlte mich bescheiden und wusste noch nicht genau wieso. Im Laufe des Tages schlich sich ein immer schlechteres Gefühl an, meine Stimmung war alles andere als stabil und mich begleitete eine tiefe Leere. Ich hatte Probleme aus dem Bett zu kommen und kleinste Entscheidungen fielen mir schwer. Im Nachhinein betrachtet hätte ich hier schon bemerken müssen, dass der Tag gefährlich wird. Das tat ich aber nicht.

Und dann ging eine Kleinigkeit schief und ich wollte nicht mehr leben. So einfach, so banal.

Mein Sinn war fort. Alles war schlecht, nichts hatte Sinn oder Aussicht.
Ich war so sicher, dass ich es in der Klinik besser gelernt hatte, dass mir das nicht mehr oder nicht mehr so schnell passieren würde. Und dennoch ist es passiert und ich bin in ein altes und sehr destruktives Verhalten verfallen. Ich war lebensmüde und einfach nur traurig. Den ganzen Tag kämpfte ich und es war schwer, mich nicht weiter in dieses Gefühl reinzusteigern. Dank einer sehr guten Freundin, konnte ich das abends irgendwie hinbekommen. Es geht mir besser, aber ich muss aufpassen und bin auf der Hut.
Ich bin froh, dass ich es innerhalb eines Tages geschafft habe, meine Stimmung deutlich zu stabilisieren. Das ist ein Fortschritt. Ein kleiner.

Ein Moment für den Ex

Ich war über die Ostertage in der Schweiz zum Skifahren. In meinem Lieblingsort, an den ich jedes Jahr fahre. Ich fuhr mit einer Mitpatientin aus der Klinik und einer Reisegruppe.

Es waren auch einige deutlich jüngere “Kids” dabei. Zwei hatten sich wohl während der Reise verliebt und schmachteten sich die ganze Zeit ganz ekelhaft an. Als wir in unserer neu gewonnenen Clique auf dem Parkplatz auf dem Bus warteten, schaute einer der Jungs die beiden Verliebten an und sagte: “Das gibt es in unserem Alter nicht mehr.” Und ich sagte ganz selbstbewusst: “Doch, das gibt es. Und dann zerbricht es wieder.”

Und dann traf es mich. Tiefe Trauer. Der Gedanke an meinen Exfreund und wie sehr ich ihn immernoch vermisse. Nach fast 6 Monaten Trennung – so lange wie wir auch zusammen waren. Und es tut immernoch weh. Es tut so verdammt weh. Und auch wir waren anfangs so verdammt ekelhaft verliebt, dass sich das niemand lange angucken konnte. Zum Tanz in den Mai letztes Jahr tanzten wir in meinem Lieblingsclub und er hob mich mit beiden Armen hoch (wie bei König der Löwen) und küsste mich und wir guckten uns verliebt an. Ein fremder Typ kam auf uns zu und sagte, wir seien so süß, wir müssen für immer zusammen bleiben. Und noch heute wünschte ich, dass wir es wären. Dass er nicht gegangen, sondern an meiner Seite geblieben wäre.

Wenn die Tränen kommen, muss ich jede Gelegenheit nutzen. Ich seilte mich für 10 Minuten ab. Aber auf der Straße hemmungslos zu weinen ist nicht so ganz mein Ding. Und dann hörte es ganz schnell wieder auf.

Ich habe Angst, dass ich das nie wieder fühlen werde. Dass ich entweder alleine bleiben werde oder mich mit halbgaren Gefühlen zufrieden geben muss. Ich möchte weder das eine, noch das andere.

Die Realität ist wieder da, der Kampf bleibt

Heute begann meine zweite Arbeitswoche im alten Job.

Eine meiner (dienst)ältesten Kolleginnen ist krank und kam heute nur kurz ins Büro um ihren Laptop zu holen. Sie ist schwanger und wird auch in einem Monat in Mutterschutz gehen. Als ich sie heute so sah und an ihre Schwangerschaft dachte, an ihre glückliche Ehe und ihre Zufriedenheit, die sie trotz einiger Prüfungen in ihrem Leben besitzt, wurde ich sehr traurig.
Sie ist 2 Jahre jünger als ich. Ich mag sie. Sie ist ein wunderbarer Mensch. Mit einem schönen trockenen Humor. Ich gönne ihr ihr Glück.
Aber ich musste auf einmal daran denken, dass ich das alles nicht habe. Dass es noch in den Sternen steht, ob ich jemals Familie haben werde – oder ob ich alleine bleiben werde.

Und dann war sie wieder da. Die Sinnlosigkeit und der Wunsch nicht weiter zu leben. Zack!

Nach all meinen vermeindlichen Fortschritten. Ich schaffte es, die Gedanken wieder abzuwenden. Ich merke immer wieder wie fragil meine Psyche noch ist.
Aber ich konnte mich auch an das erinnern, was ich in der Klinik gelernt habe: Der Wunsch nach dem Ende ist der Ausweg, der einem erlaubt, sich nicht mit seinen Problemen auseinander zu setzen. So lange man das nicht tut, braucht man die Option einfach auszusteigen, man gerät schnell in die Verzweiflung.
Aber es ist schwer. Ich habe es nach der Klinik kaum geschafft, zu weinen und meine Gefühle wirklich zu spüren. Es ist noch so viel Trauer da. Noch so viele Tränen, die geweint werden müssen. Weil sie mich sonst bedrohen und mir den Lebenswillen rauben. Aber ich spüre sie kaum. Ich kann nicht weinen.

Ich hatte heute im Auto auf dem Heimweg vom Büro einen kurzen Heulanfall. Aber er war schnell wieder vorbei. Ich schaffe es einfach nicht zu trauern um all das, was mir passiert ist. Vielleicht braucht es noch Zeit.

Ich bin wieder da!

Ich habe heute meinen 2. Arbeitstag geschafft. Und ich bin so erleichtert, dass sich sämtliche Gedanken, die ich mir zusammengesponnen habe, nicht erfüllt haben.

Meine Kollegen sind nett, sie freuen sich, es ist genug Arbeit da – auch coole neue Projekte für mich, ein paar meiner alten bekomme ich wohl auch wieder. Es ist noch ungewohnt, aber es ist gut.
Ich merke nur, dass ich noch sehr langsam bin und noch im Klinik “nimm-dir-deine-Zeit”-Tempo und nicht in dem jetzt erforderlichen Agenturtempo. Aber auch das wird.

Und das Beste war ein Kollege, den ich sehr mag – der aber nicht zu meinem Team gehört und somit auch nicht über den genauen Grund meiner Abwesenheit informiert war. Jedoch ein treuer Instagram-Follower. Dort habe ich zumindest immer mal wieder Andeutungen gemacht. Er begegnete mir gestern morgen im Flur und hieß mich willkommen. Und er fragte: “Geht’s dir wieder gut?”. Schwierige Frage, Ich hasse es zu lügen, möchte aber auch nicht jedem alles preisgeben. Ich antwortete also mit einem Lächeln “Es geht besser.” Für mich war alles gut. Ich war auf solche Floskeln vorbereitet. Die meisten trauen sich ja doch nicht, wirklich nachzufragen.

Umso überraschter war ich über eine Mail, die ich 30 Minuten später erhielt:

Hi XXX,
ich wollte mich kurz für die Frage vorhin entschuldigen: Geht es Dir wieder gut.
Das hat mich danach richtig geärgert, denn ich weiß selber, dass das nicht unbedingt so ist, nur weil man wieder arbeiten ist. Das ist mir einfach wie eine Floskel so rausgerutscht. Umso stärker deine Antwort, dass es besser ist. Ich wollte dir eigentlich schon in den letzten Wochen schreiben, dass ich toll finde, wie offen Du mit manchen Dingen umgehst. Ich selber bin da viel zurückhaltender und man macht sich viele Dinge dadurch schwer und muss sich verstellen. Soll heißen, ich kenne viele Probleme leider nur zu gut und feier dich sehr dafür, dass du die Themen so angehst.Ich hoffe die Mail ist jetzt auch nicht zu persönlich, aber mir ist das seit langem ein Bedürfnis und dann war blöde Frage der endgültige Trigger dir mal zu schreiben.
Grüße von oben
XXX

Daraus ergab sich ein kurzer und sehr persönlicher Mailwechsel. Und die Erkenntnis wie viele von “uns” es gibt. Das war bisher mein bester Büromoment – auch, wenn er nicht direkt arbeitsbezogen war. Es zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin und dass auch darüber reden kein Fehler ist.

Neustart – 15 Wochen psychiatrische Klinik

Wow! Meine Einweisung in die psychiatrische Tagesklinik ist 15 Wochen her.
– Station A für instabile Persönlichkeiten.

Ich war nach meiner Trennung im letzten Jahr gelinde gesagt am Ende. Ich war suizidal und hätte ohne meinen Job und mein Crossfit wahrscheinlich die Wartezeit für die Aufnahme in die Tagesklinik nicht überlebt. Es war hart an der Grenze. Sinnlosigkeit war mein persönlicher Begleiter. Jederzeit und immer da.

Seit dem 11. Dezember ging ich dann täglich und ohne auch nur einen Ausfalltag in die psychiatrische Tagesklinik. 8 Wochen hatte ich warten müssen bis zur Aufnahme. Das ist eigentlich für deutsche Verhältnisse recht kurz – und dennoch unfassbar lang, wenn jeder Morgen, jedes Aufstehen und der gesamte Alltag eine Belastung sind und man jeden Tag (oftmals im Minutentakt) hinterfragt, wieso und ob man das Ganze überhaupt noch mitmachen will, ob es nicht einfacher wäre aufzugeben und auszusteigen.  Aber ich habe es durchgezogen. Dank lieber Freunde, Dank einer Struktur durch Job und Training, die nicht viele in meiner Lage haben oder aufrecht erhalten können. Ich habe es geschafft. Es geht mir besser. Es ist noch ein weiter Weg mit ambulanter Therapie und vielen alltäglichen Kämpfen. Aber ich bin noch hier und ich bin auf dem Weg.

15 Wochen in der Klinik, die unbeschreiblich anstrengend waren.

Ich hatte es seit über einem Jahr vermieden, alleine zu sein, war ständig unterwegs, tat alles um mich nicht mit mir und meinen Gefühlen zu beschäftigen. Nach einer so langen Zeit ohne wirklichen Kontakt zu meinen Emotionen war es mehr als schmerzhaft, diese wieder zu finden und zu durchleben. Aber es ging. Ich arbeitete so hart es mir möglich war. Ich lernte Menschen kennen, die ähnliche Probleme hatten, wir stützten uns jeden Tag gegenseitig. An vielen Tagen nach der Klinik war ich erschöpfter als nach einem normalen Arbeitstag.
Ich wurde mit deutlich erkennbaren Fortschritten entlassen und bin froh und dankbar, dass ich diese Möglichkeit hatte. Mein Kampf ist noch nicht zu Ende und ich werde noch lange Therapie(n) machen. Ich kenne meinen Sinn immernoch nicht, aber ich glaube, dass mein Leben tatsächlich einen hat und ich noch auf dieser Erde bleiben will.

Und nun sitze ich an meinem Schreibtisch.

Einen Tag vor dem Neustart in meinen alten Job, mit den alten Kollegen. Ich habe Angst. Ich habe Angst, dass ich fachlich hinterherhinke, nicht mehr zum Team dazugehöre und vor allem habe ich Angst, dass meine Klinikzeit, die mir die Welt bedeutet, vergessen wird. Ich habe Angst, dass ich wieder Teil einer Welt werde, in der psychische Krankheiten kein Thema sind und in der man einfach funktionieren muss und bloß kleine “Befindlichkeiten” aufkommen. Ich möchte das nicht. Mit dem Neustart morgen beginnt vielleicht auch das Vergessen. Ich will nicht vergessen. Mir ist wichtig, dass die Menschen, die das Leid mit mir teilten, Bedeutung behalten, dass wir nach und nach nicht mehr als Minderheit angesehen werden (denn leider gibt es viele von uns), dass es ok wird, über psychische Krankheiten zu reden und dass wir Gehör finden.

Solltet ihr Ideen haben, wie ich weiterhin unseren Kampf weiterführen und für mehr Aufmerksamkeit in der Gesellschaft sorgen kann, lasst es mich gerne wissen. Wenn ihr selbst Probleme habt: bitte seid nicht zu ängstlich, Hilfe zu suchen. Ihr seid nicht alleine. Und es geht weiter!