Seit etwas über drei Wochen bin ich nicht mehr in der Klinik.
Drei Wochen, in denen ich auf mich gestellt war und auch keine Therapiestunde hatte. In diesen drei Wochen musste ich gefühlt Vieles neu lernen und was ich in der Klinik in einem sehr sicheren Netz mit dreifach doppeltem Boden gelernt habe, anwenden lernen. Das ist sehr kräftezehrend. Zeitweise klappt es ganz gut – immerhin kann ich mittlerweile deutlich besser reflektieren. Jedoch bin ich noch nicht so weit, dass meine Gefühle sich dieser Reflexion auch anpassen. Ich bin nach wie vor Opfer meiner extremen Gefühle und meiner Affekte und auch Ängste. Es kommt oft vor, dass ich nicht weiß, was ich denken oder fühlen soll. Was habe ich konstruiert, was ist angemessen?
Ich brauche oft Tage, um eine Stimmung umzulenken – auch, wenn ich es schon früher besser weiß. In den letzten Tagen brauchte ich zusätzlich meine Freunde und deren sehr ehrliches Feedback von außen um mir diese Zeit auch zu nehmen, bevor ich handle.
Meine Therapeutin sagte einmal zu mir: “Trauen Sie nicht ihren Gedanken.”
Und sie hat Recht. In meinen Gedanken gelten die Sätze “Ich bin nicht wichtig”, “es wird nie auf mich geachtet und ich werde immer zu kurz kommen” als ultimative Wahrheiten. Unterstützt werden diese Gedanken durch Erinnerungen an vergangene Situationen. Sicherlich kam ich im Leben oft zu kurz, sicherlich ist es ebenso wahrscheinlich, dass die Wahrnehmung meiner Erinnerung durch meine “Wahrheiten” geprägt und teilweise verfälscht ist. Die Angst, dass sich dies auch in der Zukunft fortführen wird fühlt sich für mich oft an wie Gewissheit.
Es ist schwer, das alles loszulassen, innezuhalten und mich zu distanzieren um mir die Situation – die reale und die in mir – anzusehen und zu differenzieren. Ich falle noch oft in die Falle. Ich glaube meinen Gedanken viel zu oft. Aber ich glaube, ich werde besser.
Es gibt in diesem Prozess vier wichtige Schritte nachdem diese starken Gefühle aufkommen, beide davon sind gleichermaßen fortgeschritten und brauchen Zeit und Energie:
- Erkennen, dass es sich um eine affektive Situation handelt
- Innehalten und emotionale Distanz gewinnen
- Die Situation so neutral wie möglich bewerten und andere Blickwinkel einnehmen. Wie ist es wirklich? Welcher Teil wird durch meine Gedankenmuster beeinflusst und verfälscht?
- Handeln. Die gewonnenen Erkenntnisse umsetzen.
Keiner dieser Schritte ist leicht. Jeder ist eine große Stufe einer steilen Treppe und bedarf oftmals Hilfe von außen. Es passiert mir noch sehr oft, dass ich dies alles erst im Nachhinein erkenne – nachdem ich bereits sehr affektiv und destruktiv gehandelt habe. Das ist ok, das passiert.
Es ist wichtig, auch das zu akzeptieren und das Ganze als Prozess zu sehen. Es ist ein langer Prozess und er muss immer wiederholt werden, bis er irgendwann fast automatisch und mit deutlich weniger Aufwand funktioniert.
